Tonarchiv IKDE Freiburg, Band 839, aufgenommen in Dauchingen bei Villingen, Februar 1969.
Schrot statt Brot. Hungeralltag im „Rudolfer Lager“
Frau R. aus Rudolfsgnad (Knićanin) im Banat, Serbien, erzählt auf der Aufnahme von 1969 weniger von den Stationen ihres Lebens, sondern singt vielmehr über sie. Ihr Lebensweg und ihre Werte – insbesondere der Glaube und die positiven Bezüge zum ländlichen Leben ihrer Kindheit – spiegeln sich in ihren Liedern, die sie mit ihren 84 Jahren noch deutlich vortragen kann.
Allerdings greift sie damit solche Episoden ihrer Biografie auf, an denen Erzählungen sonst stocken mögen: Ihre Zeit im „Rudolfer Lager“, in dem Lager Rudolfsgnad (Knićanin), das zu einem Topos der jugoslawischen Lager werden sollte.
Gemeinsam mit anderen Deutschen – vermeintlichen ‚Feinden‘ – wurde Frau R. nahe ihres Heimatdorfes interniert. Das Dorf umfasste zu der Zeit rund 3.000 Einwohnerinnen und Einwohner. Das Lager wuchs in der Folgezeit auf ein Vielfaches an; insgesamt waren hier zwischen 1944 und 1948 über 30.000 Menschen untergebracht. Dies betraf besonders Frauen, Kinder und alte Menschen. Unter den Zuständen vor Ort kursierten Krankheiten wie Typhus und Malaria. Schätzungen zu den Todeszahlen gehen von bis zu 13.000 Opfern aus. Ein täglicher Begleiter der Menschen war außerdem der Hunger. Dies spiegelt sich in Frau R.s Lied wider: „In dem Rudolfer Lager, / Da gibts ja nichts als Schrot“.
Das Lied ist auf die Melodie des bekannten Schlagers „Lili Marleen“ gedichtet. Der Soldatensender „Radio Belgrad“ spielte das Stück – auch auf Wunsch zahlreicher Zuschriften – laufend und machte es so zu einer der Melodien der Zeit. So kam es offenbar auch ins nahe Banat.
In Frau R.s Version thematisiert das Lied allerdings andere Themen: den Nahrungsmangel und die Versuche, diesen abzumildern, die Unterdrückung und die hohe Kindersterblichkeit.
Frau R.s Schicksal zeigt, dass das Kriegsende für viele Menschen nicht notwendigerweise den Anbruch einer friedlichen Zeit markierte. Sie verarbeitet dies, indem sie Erinnerungsstücke im populären Liedgut festhält. Das „Leid im Lied“ ist dabei greifbar.
Rudolfsgnad (Knićanin) Banat, Serbien
Die Ortschaft im westlichen Banat wurde 1866 von Deutschen gegründet und nach dem österreich-ungarischen Kronprinzen Rudolf benannt.
Die Geschichte des Ortes ist – wie die von vielen in der Region – von Grenzverschiebungen geprägt: Ab 1911 gehört das Dorf zum ungarischen Teil des Habsburgerreichs, 1941 besetzte die Wehrmacht die Gegend und ab 1944 war der Ort wieder jugoslawisch. Zu diesem Zeitpunkt lebten dort vor allem Donauschwaben – unter ihnen Frau R.
„Lili Marleen“
Lale Andersen sang 1939 den Schlager, der rasch zu einem Hit werden sollte. Insbesondere der Soldatensender „Radio Belgrad“ hatte daran erheblichen Anteil; das Stück wurde dort zum oft benannten Musikwunsch und schließlich zur Erkennungsmelodie. Mit seinem einschlägigen Einstieg „Vor der Kaserne, vor dem großen Tor…“ gilt der Schlager – obwohl im Nationalsozialismus ob seines melancholischen Charakters 1942 verboten – als Soldatenlied und erzählt die Geschichte eines vom Krieg getrennten Paares. Durch den Auftritt Marlene Dietrichs vor amerikanischen Truppen wurde das Lied auch im Ausland populär.
Literatur
Vgl. Habenicht, Gottfried. Leid im Lied. Südost- und ostdeutsche Lagerlieder und Lieder von Flucht, Vertreibung und Verschleppung. Freiburg 1996, u.a. S. 156.
Vgl. Stefanović, Nenad. Ein Volk an der Donau. Das Schicksal der Deutschen in Jugoslawien unter dem kommunistischen Tito-Regime. München 2005, u.a. S. 119ff.
Tonarchiv: Jana Stöxen