Dr. Alona Bilokon ist 2025 im Rahmen des Stipendienprogramms des Landes Baden-Württemberg zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses aus den Herkunftsgebieten der Vertriebenen und Spätaussiedler zu Gast am IKDE.
Sie ist Wissenschaftlerin an der Nationalen Petro-Mohyla-Schwarzmeeruniversität in Mykolajiw in der Ukraine und arbeitet über den Zugang historisch-archivalischer Forschung zu Themen der Auswärtigen Politik.
Liebe Frau Dr. Bilokon, was verbinden Sie mit dem Thema „Deutsche des östlichen Europa“, gerade im Hinblick auf Ihr Herkunftsland, die Ukraine?
Für mich steht dieses Thema für bewegte gemeinsame Geschichte, für kulturelle Verflechtungen und für Menschen, die über Jahrhunderte Brücken zwischen Deutschland und Osteuropa gebaut haben. In der Ukraine sind die Spuren der deutschen Siedlungen bis heute sichtbar – in Architektur, Ortsnamen und Familiengeschichten.
Die Ukraine ist ja ein vielsprachiges und multikulturelles Land – wo sind Ihnen denn dort (zum ersten Mal oder besonders prägnant) deutsche Spuren aufgefallen?
Deutsche Spuren habe ich besonders in den ländlichen Siedlungsgebieten rund um Odesa, Mykolajiw und Kherson wahrgenommen, wo seit dem Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts zahlreiche deutsche Kolonien gegründet wurden. Diese Dörfer bewahrten lange ihre eigene Sprache, Kirchen und Schulen und prägten so die Kultur der Region. Auch heute erinnern Ortsnamen und einzelne Gebäude an dieses historische Erbe. Dort wird besonders deutlich, wie stark deutsche Gemeinschaften einst das südliche Gebiet der heutigen Ukraine mitgestaltet haben.
Zu welchem Thema arbeiten Sie im Rahmen Ihres Stipendiums am IKDE?
Ich untersuche die deutschen Diplomaten in der Ukrainischen SSR in den 1920er- und 1930er-Jahren und ihre Rolle in den deutsch-sowjetischen Beziehungen.
Mit welchen Fragestellungen befassen Sie sich dabei, und was ist eine Herausforderung in Ihrer Arbeit?
Mich interessiert, wie die biografischen Hintergründe der Diplomaten – etwa Ausbildung, Karrierewege und politische Haltung – ihr diplomatisches Handeln beeinflussten. Ein besonderer Aspekt dieser Untersuchung ist die Beziehung zwischen den deutschen Diplomaten und der deutschstämmigen Minderheit in der Ukrainischen SSR. Diese war eine der größten deutschen Siedlungsgruppen in der Sowjetunion und sah sich in den 1920er- und 1930er-Jahren zunehmend politischen Repressionen, wirtschaftlicher Enteignung und kultureller Assimilation ausgesetzt. In diesem Kontext kam den diplomatischen Vertretungen Deutschlands – insbesondere den Konsulaten in der Ukrainischen SSR – eine ambivalente Rolle zu: Einerseits waren sie Interessenvertreter des Deutschen Reichs, andererseits fungierten sie informell als Anlaufstelle für Anliegen der lokalen deutschen Bevölkerung. Eine große Herausforderung ist, dass viele Archivquellen durch Kriegsverluste nur fragmentarisch überliefert sind.
Und zum Abschluss: Können Sie uns ein Buch empfehlen, das Ihnen bei der Arbeit an diesem Projekt begegnet ist?
Besonders spannend finde ich die Memoiren von Andor Hencke „Erinnerungen als Deutscher Konsul in Kiew in den Jahren 1933–1936“. Dieses Buch bietet einen seltenen, sehr persönlichen Einblick in den Alltag und die Aufgaben deutscher Diplomaten in der Ukrainischen SSR, genau in den Jahren des Holodomor und des aufkommenden Nationalsozialismus. Hencke beschreibt nicht nur seine offiziellen Tätigkeiten, sondern auch seine Begegnungen mit der deutschstämmigen Minderheit und seine Beobachtungen der politischen und sozialen Lage. Für mein Projekt ist es eine außergewöhnliche Quelle, weil sie sowohl diplomatische Perspektiven als auch menschliche Erfahrungen in einer äußerst angespannten historischen Situation sichtbar macht.
Vielen Dank für diesen Einblick in Ihre Arbeit – und viel Erfolg weiterhin!