Forschungsprojekt

Standortbestimmung, Intention und Perspektiven der Minderheitskultur der Deutschen in Ungarn gegenwärtig – untersucht am Beispiel ausgewählter Landgemeinden

Bei der letzten Volkszählung der Republik Ungarn lag die Anzahl der sich mit der Kultur der Nationalen Minderheit der Deutschen identifizierenden Personen bei 142.551, die Zahl derjenigen, die Deutsch als Muttersprache bezeichneten, lag jedoch bei 28.473 (mit fallender Tendenz). Hier stellt sich eine grundsätzliche Frage: Was heißt „Kultur der deutschen Minderheit“ in Ungarn heute, wie sieht die „deutsche Minderheitskultur in Ungarn“ heute aus, in welchen Bezügen steht sie – weitgehend ohne die alltägliche Verwendung der besonderen Sprache?
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Giebelseite eines einstöckigen Hauses. Davor steht ein Zaun. An dem Zaun befindet sich ein Schild mit der Aufschrift „Ungarndeutsches Heimatmuseum“ in deutscher und in ungarischer Sprache.
Ungarndeutsches Heimatmuseum der Gemeinde Rátka, Komitat Borsod-Abaúj-Zemplén, Ungarn. August 2023.

Projektdetails

Projektleitung: Apl. Prof. Dr. Michael Prosser-Schell
Projektlaufzeit: 2024–2026
Kooperationspartner: Universität Debrecen (Ungarn)
In Zusammenarbeit mit: Dr. habil. Maria Erb, Bildungsausschuss der Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen, Budapest.

Das Projekt fokussiert in seinem abgegrenzten Gegenstandsbereich auf Landgemeinden, die durch Einwanderung aus dem deutschen Sprachraum im 18. Jahrhundert geprägt worden sind, und in denen gegenwärtig eine ungarndeutsche Minderheiten-Selbstverwaltung besteht.

Die Gesamtfragestellung wird im Wesentlichen in vier Einzelprobleme aufgeteilt:

  • Findet heute noch eine Berufung auf die historische Einwanderungszeit sichtbar statt, und wenn, wie stellt sich das heute im Ortsbild der jeweiligen Gemeinden dar?
  • Gibt es örtliche Bildungsanstalten, in denen Bestandteile der Minderheitskultur vermittelt und im Alltag verankert werden? Hier zielt die Erkundung insbesondere auf Kindergärten, Schulen und lokale Museen.
  • Gibt es örtlich regelmäßige, institutionalisierte Veranstaltungen, für die öffentlich eingeladen wird und an denen für die spezifische Minderheitskultur gegenwärtig ein aktiver und repräsentativer Aufwand getrieben wird? Über solche regelmäßigen Veranstaltungen lässt sich zeigen, dass die ungarndeutsche Kultur in der Dorfgesellschaft aktiv ist, dass also die Betroffenen gegenwärtig die Minderheitskultur als überliefernswert erachten und damit fortfahren wollen. An derartigen Veranstaltungen lässt sich überdies beobachten, ob sich die Formen der ungarndeutschen Kultur gegebenenfalls verändern oder in einer formal fixierten Tradition verharren.
  • Gibt es Verbindungen und kulturelle Kontakte zu anderen Gemeinden im internationalen deutschen Sprachraum, in Österreich, in Deutschland, insbesondere in Baden-Württemberg? Und gibt es Verbindungen zu anderen Minderheitskulturen?

Neben mehreren ausgesuchten Gemeinden in Ungarn, die verschiedene infrastrukturelle Merkmale aufweisen – zum Beispiel touristische Frequentierung, Großstadtnachbarschaft, Nähe zu einem großen Industriebetrieb oder agrarische Prägung – legt das Projekt einen Schwerpunkt namentlich auf die Gemeinde Rátka in Nordostungarn, die sich abseits der großen Fremdenverkehrszentren, abseits des Prozessfeldes einer Großstadt beziehungsweise eines großen Industriebetriebes und abseits ökonomisch bedeutender Verkehrsströme befindet.

Um die tatsächliche Praxis ungarndeutscher Kultur gegebenenfalls zu untersuchen, ist Feldforschung vor Ort (Lokaltermine) unerlässlich. Die entsprechende Forschung in Nordostungarn („Oberes Theiß-Gebiet“) erfolgt in vertraglich abgesicherter Kooperation mit kulturanthropologisch-ethnographischen Forschungsinstituten an der Universität Debrecen. Konkretes internationales Zusammenwirken sowohl in konzeptionellen wie auch in forschungspraktischen Belangen, bildet eines der Fundamente dieses Projekts, um die verschiedenen akademischen Sichtweisen aus Deutschland und Ungarn in gemeinsamer Arbeit produktiv werden zu lassen – gerade auch in Hinsicht auf die seit den 2000er-Jahren veränderten Maßgaben des § 96 BVFG.

Das Projekt wurde an mehreren Tagungsveranstaltungen im Jahre 2024 bereits vorgestellt. Im Jahr 2025 ist in der Schriftenreihe des IKDE Freiburg ein Sammelband zur Präsentation erster Ergebnisse geplant.